Spiele auf dem Land
Wenn man spielt, ist ewig Sommer
SPIELE AUF DEM LAND
Hardcover, 29,7 x 21 cm
120 Seiten
ISBN: 978-3-7020-1737-8
24,90 €
erhältlich bei Amazon*
Wie sich die Ewigkeit anfühlt? Wunderbar kribbelig und aufregend hibbelig! Mit dieser vibrierenden Vorfreude im Bauch radelten wir am letzten Schultag vor den großen Ferien nach Hause. Die kommenden Wochen lagen vor uns wie ein endloser Ozean, und wir tauchten hinein.
Schnell noch das Zeugnis ausgepackt – ein Lob hob die Stimmung, ein Tadel konnte ihr nichts anhaben – dann verschwand der Schulranzen auf Nimmerwiedersehen in seiner Ecke. Die Eltern würden nicht auf die Idee kommen, ihn in den Ferien hervorzuholen, und wir schon gar nicht.
Wir hatten Besseres vor: Spielen drunten am Fluss,
auf den Wiesen, in der alten Lehmgrube
Wir hatten Besseres vor. Nicht die Adria lockte und nicht die Costa Brava, von einem Ferienprogramm hatten wir noch nie gehört: Uns lockten der Fluss, der Wald, die Wiesen, die Lehmgrube bei der stillgelegten Ziegelei und die Dorfstraßen. Alles war vertraut, und doch zogen wir los wie Abenteurer, die sich aufmachen, einen fremden Kontinent zu entdecken.
Denn wir fühlten uns grenzenlos frei, ganz ohne die Aufsicht Erwachsener. (Eine krasse Fehleinschätzung, denn alle Dorfbewohner hatten uns im Blick: Die Netteren knöpften sich uns gleich vor, wenn wir etwas angestellt hatten, die weniger Netten sorgten dafür, dass die Eltern davon erfuhren.)
Vom Aufwachen bis zum Abendläuten der Kirchturmglocken gehörte der Tag uns, und nur ein großer Hunger trieb uns ab und zu nach Hause. Für zwischendurch reichten als Mahlzeit die Kirschen und die frühreifen Äpfel an den Bäumen, die Brombeeren, Johannis-, Himbeeren und Stachelbeeren an den Sträuchern. Zur Not zuzelten wir ein Blatt „Gugaruz“, wie wir den Sauerampfer nannten.
Kaulquappen fangen und den Fischlein zuschauen:
Hier vertreibt uns kein Bademeister
Wenn es heiß war (und in der Erinnerung war der Sommer immer heiß), trafen wir uns im Badhäusl an der Vils, unserem „Schwimmbad“ mit ein paar hölzernen Umkleidekabinen und harten Bretter-Liegeflächen. Oft dauerte es allerdings nicht lange, bis uns der Bademeister oder einer, der sich als solcher aufspielte, den Spaß verdarb.
Dann radelten wir ein Stück flussaufwärts, wo wir am seichten Ufer Kaulquappen und Fischlein fingen. Die Buben schnitzten mit ihren Taschenmessern (ich kenne kein Mädchen, das eines hatte) Schiffchen, mit denen sie Wettrennen austrugen.
Auf der Wiese nebenan suchten wir vierblättrige Kleeblätter, um unser Glück noch zu steigern, oder wir hielten Ausschau nach einem großen grünen „Heuschneider“, der im Ruf stand, er könne einem übelste Schnitte zufügen und sich deshalb bestens für Mutproben eignete. Ich habe sie übrigens – im Gegensatz zu meinem Bruder – bestanden und einen mit der bloßen Hand gefangen. Mehr als fünfzig Jahre später bin ich noch immer ein bisschen stolz darauf.
Diesen Sieg über die Feigheit kann auch Google nicht schmälern, wo ich gerade recherchiert habe, dass es sich bei der Bestie wohl bloß um ein grünes Heupferd aus der Familie der Laubheuschrecken gehandelt hat, dessen Gefährlichkeit in keinem der Einträge erwähnt wurde.
Bei Fußball oder dem komischen „Hoch-Zack-Bumm“-Spiel
machten wir Mädchen uns aus dem Staub
Irgendwann im Lauf des Tages trennten sich dann meist die Wege von uns Mädchen und den Buben. Spätestens, wenn Pfeil und Bogen gebastelt wurden und wir Squaws es leid waren, beim Cowboy- und Indianerspielen im Wald immer nur Beeren zu sammeln oder die Gefangenen zu bewachen, die an den Marterpfahl gefesselt um Befreiung bettelten. Auch beim Fußball oder dem komischen „Hoch-Zack-Bumm“ machten wir uns aus dem Staub.
Da spielten wir lieber Völkerball und „Ball an die Wand“. Stundenlang konnten wir Kastlhupfen und Gummihupfen betreiben. Wir banden kleine Blumensträußchen und hockten uns damit an einen Tisch vor das Gartentürl, in der Hoffnung, sie zu verkaufen.
Ab und zu fand sich eine barmherzige Nachbarin, die ein Zehnerl dafür locker machte, bevor die Buben wieder auftauchten und unseren Verkaufsstand plünderten oder verwüsteten. Was für ein Geschrei wir auch machten: Hilfe von der Mutter, die irgendwo im Haus oder Garten werkelte, war nicht zu erwarten. Nach dem Motto „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ mischten sich die Eltern in unsere Streitereien nicht ein und fühlten sich nur bei blutigen Knien oder einem verstauchten Fuß zuständig.
Beim Stöckeln gewannen auch die Kinder mal ein Zehnerl,
dafür gab’s beim Kramer ein Flascherl Liebesperlen
Erst abends konnten wir wieder mit ihrer Aufmerksamkeit rechnen: der unwillkommenen, wenn vor dem Abendessen Füße, Hände und Gesicht geschrubbt wurden, und der willkommenen, wenn sich an einem lauen Sommerabend die halbe Nachbarschaft im Garten zum Bracken traf – so hieß das Stöckeln bei uns.
Die Erwachsenen, allen voran die Väter, entwickelten dabei oft einen noch mordsmäßigeren Ehrgeiz als wir Kinder, aber am Ende durften wir dann doch immer ein paar Fünferl und Zehnerl einstecken, für die wir uns am nächsten Tag beim Kramer ein Flascherl Liebesperlen oder ein Packerl Brausepulver kauften.
Da war es dann wieder, dieses wundervoll kribbelige und aufregend hibbelige Gefühl. Es hatte uns nicht getrogen. Nur bei der Ewigkeit hatten wir uns ein bisserl verschätzt. Die Abende wurden kühler, wir wurden früher ins Haus und ins Bett gescheucht. Am Samstag vor Schulbeginn wusch uns die Mutter beim wöchentlichen Bad auch die langen Haare, die, zu dicken Zöpfen geflochten, solche Pflege nur selten bekamen.
Und nur weil Samstag war, durften wir danach noch länger aufbleiben und mit den Eltern am Küchentisch Lampeln, während im Radio die „Weißblaue Drehorgel“ lief. So ging unsere Ewigkeit zu Ende – wenn auch erst nach einer Ewigkeit!
Rosina Wälischmiller
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